Dienstag, 15. Februar 2011

Was wir nicht vermissen

Unser Hauptgrund nach Dänemark auszuwandern, war die Aussicht auf mehr Zeit als Familie. In Deutschland arbeitete mein Mann - unserer großer Geldjäger - 60 Stunden die Woche. Meist war er fünf Tage die Woche irgendwo anders, aber nicht zu Hause. Menschen, die nur zwölf Stunden pro Tag arbeiten, wurden in der Branche meines Mannes, schon mal als Halbtagskräfte bezeichnet. Mit einem Kind und Halbtagsjob, klar selbstständig wegen der Flexibilität, war das alles noch zu wuppen, mit dem zweiten Kind wurde es verdammt anstrengend. Für den Großen wurde es mit zunehmendem Alter immer schwerer zu akzeptieren, dass Papa nur ein Sonntagsvater ist. Der Kleine schrie von Anfang an konsequent den Eindringling aus dem gemeinsamen Schlafzimmer. Ich bezeichnete mich schon mal als verheiratet-alleinerziehend, eine Freundin nannte es Frau mit geregeltem Einkommen. Abendliche Telefongespräche waren teilweise für beide Seiten frustrierend.
"Was machst Du heute Abend noch?"
"Ach eigentlich nichts, ich geh nur noch mit einem Kollegen essen."
"DU gehst ESSEN?"
Wenn man gerade Babykotze aufwischt und das andere Kind nur noch wimmert wegen akuter Mittelohrentzündung, will man so was nicht hören. Auch wenn ich weiß, dass Menschen gezwungen sind sich zu ernähren.
Die Wochenenden waren voll gepackt: Besorgungen, Besuche und schöne Dinge für die Kinder. Wir haben morgens, abends und nachts telefoniert. Ich weiß nicht, wie oft mein Mann in seltsame Situationen geriet, weil er auf Flughäfen oder vor der Sitzungstür "Piep, piep, piep, wir ham uns alle lieb" zitierte oder Abzählreime aus einem Kinderbuch vorlas (er kann sie auswendig und ich gab die passenden Einsätze, unser Kind hat es geliebt). Wir konnten mit der Situation umgehen, aber wir hatten eine Ahnung, dass es auch anders geht.

Ein Freund holte meinen Mann nach Kopenhagen. 37,5 Stunden Woche bei etwas mehr Gehalt, gute Bonusleistungen und jede Überstunde bezahlt. Das klang traumhaft und das ist es auch. Ich gebe zu, wir mussten erst lernen, so viel Zeit zusammen zu verbringen. Hausarbeit wurde und wird neu verteilt, Erziehung muss mehr diskutiert werden. Unser Großer spielt Papa immer noch gerne an die Wand. Wir haben da einiges nachzuholen. Das wir unser altes Leben nicht vermissen, wurde uns schlagartig klar, als wir letzten August kurz nach fünf an einem Donnerstag Federball im Park spielten. Der Erstgeborene rannte zwischen uns und der Rutsche hin und her, Flexibaby kaute auf einem unserer Bälle herum. Es war perfekt, trotz des Ärgers mit dem Häuschen; trotzdem das Leben hier verdammt teuer ist und es wohl noch ein bisschen braucht, bis ich auch einen Job finde (erst muss ich die Sprachbarriere überwinden und Flexibaby braucht einen Kinderkrippenplatz). Manchmal arbeitet mein Mann, heimlicher Workoholic, immer noch mehr. Aber wenn er dann sagt: "Das ist der Urlaub". Dann sehe ich das ein. Und so ein paar ruhige Abende haben ja auch was.
60 Stunden Wochenarbeitszeit auf regelmäßiger Basis, Überstunden sind mit dem Gehalt abgegolten, vermisst keiner von uns.

1 Kommentar:

  1. Oh wie schön, dass ich Dein Blog gefunden habe. Hier bleibe ich dabei. Und jetzt weiß ich auch, dass du über die Frauenquote zu mir gefunden hast. :-)

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